Ich komme aus der Kunstklasse von Professor Jochen Hiltmann, Hochschule für bildende Künste Hamburg. Hier versammelten sich seit den 70er Jahren Kunst-Studenten, die sich mit der Realisierung von experimentellen und unterschiedlichen praktischen Konzepten und Ausdrucksformen befassten, aber auch sehr intensiv mit Anspruch und Theorie der bildenden Kunst.

Damals standen Gesellschaftskritik und Reflexion im Vordergrund, was in den siebziger und achtziger Jahren mehr als heute eine große Rolle im studentischen Dasein spielte.

Wir haben uns damals mit aktuellen Ausstellungen kunsthistorisch auseinandergesetzt. z.B. mit Otto Dix, George Gross, Max Weber, Bertolt Brecht und vielen anderen. Unser Hauptthema war: was kann Kunst gesellschaftlich leisten?

Ich habe mich parallel zu meinem Kunststudium im Rahmen eines Germanistikstudiums an der Uni Hamburg u.a. mit den damals aktuellen Arbeitsreportagen bzw. Industriereportagen von Günter Wallraff beschäftigt. Seine Arbeitsmilieudarstellungen und Beobachtungen haben mich angeregt, meine studentische Nebentätigkeit als Serviererin in einem großen Café durch Tagebuchskizzen künstlerlsch zu verarbeiten. 

So entstand eine Skizzensammlung, die das vielfältige Arbeitsleben eines typisch weiblichen Berufs darstellte und reflektierte. 

Viele Menschen, gleich ob künstlerisch vorgebildet oder nicht, machen oft unbewusst kleine Skizzen oder Mini-Zeichnungen z. B. beim Telefonieren und auch als Erinnerungsmarke oder nicht-sprachliche Verarbeitung von Situationen, Erlebnissen u.ä. Bereits  diese Zeichnungen sind kleine bewusste oder unbewusste, alltägliche kreative Leistungen.

Entsprechend der Forderung von Joseph Beuys: „jeder ist ein Künstler“ – abseits jeglicher  Beliebigkeit, jedoch bei größtmöglicher Freiheit, ist eine künstlerische Haltung, die mir sehr zusagt:

„Kunst runter vom akademischen Sockel“.

Kein Wunder, dass ich begeisterte Kunstlehrerin geworden bin, entgegen meiner ursprünglichen Planung. Dadurch haben mich in den letzten Jahren besonders das in diesem Beruf notwendige tägliche Kreativitätstraining inspiriert und geprägt, ebenso wie das Erfordernis einer flexiblen Haltung gegenüber gestalterischem Arbeiten, dem Experiment und dem prozesshaften Gestalten.

Parallel dazu habe ich weiterhin Bilder gemalt. Dabei habe ich mehr und mehr die direkte Auftragsmalerei favorisiert gegenüber Galerieausstellungen, in denen fertige Kunst zur Disposition gestellt wird.

Meine Bilder können auf diese Weise die Ideen, Überlegungen und Wünsche der Auftraggebenden einbeziehen und im Endergebnis möglichst auch wiedererkennbar machen.

Dies fördert meiner Ansicht nach eine aktive Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk über die bloße ästhetische Funktion im Raum, in dem es nach dem Herstellungsprozess hängt, hinaus. Es gibt Gespräche und größtmögliche Identifizierung der Auftragsgebenden mit ihren Bilden und meiner Interpretation in dem für mich typischen Malstil.

Heute male ich mal realistische, abstrakte, am liebsten aber experimentelle Bilder und Bilderprozesse. Abstrakte Bilder sind für mich oft Farb- und Formstudien für Auftragsarbeiten und meine eigenen Realisierungsvorhaben. Blumen können fröhlich, wild, kitschig und/oder traurig aussehen oder einfach nur schön oder sogar Bedeutungsträger sein.

Kunstwerke müssen für mich nicht mehr so offensichtlich gesellschaftskritisch sein wie in den Siebzigern und Achtzigern. Heute ist mir das Wahrnehmen und Wertschätzen von Natur, von Landschaften, Pflanzen, dem Mikrokosmos, die bewusste Langsamkeit in einer schnellen Welt sehr wichtig geworden. Auch deshalb hat es mich an die Nordsee gezogen. Dies findet seine Resonanz in  meinem jetzigen Arbeiten.

Sitze ich erstmal an einem Bild, ist ein Malprozess in Gang gesetzt, der oft mehrere Bilder hervorbringt. Oft ist das letzte Bild das Beste, schon weil die Farben intensiver gemischt wurden und ich mich von einer strengen Zielvorgabe entfernen konnte. Dabei entstehen auch viele Nebenprodukte, da ich meistens erst mit dem Malen aufhöre, wenn alle Farben verbraucht sind. 

Diese Restfarben und Restmaterialien fördern und fordern oftmals den kreativen Produktionsprozess, der völlig freies Experimentieren ermöglicht, viel Papier erfordert, das spontan und intuitiv für alle möglichen Techniken herhalten muss. Es entstehen Schmuckpapiere, kleine interessante Bilder, viele spontane Techniken werden experimentell genutzt, wie z.B. Spachteln, Spritztechnik, Monotypie, mehrfache Abdrucke, Einsatz von Stärke, Salz, Kleber, für alle möglichen Mischtechniken etc.

Nach einer Phase, in der ich vor allem das Malen auf Leinwand mit Öl und Aquarellfarben bevorzugt habe, folgt nun eine Phase, in der ich mit Aquarellfarben male und experimentiere, gerne auch nach Musik.

 

 

Garding, August 2022